Leseprobe (5) aus:
Raubzüge
(Seiten:
„Gays, Mädels hier ist er! Der neue, aktuellste Song von SASH! Und dies nur für
Euch!“ brüllte er durch das Mikro, ließ die Nebelmaschine den Saal mit Rauch
füllen und das Blitzlicht in einem wilden Stakkato flackern.
Jan wollte schon weiter raus gehen, da die Musik und Songs von SASH ihn nicht
sonderlich gefielen, auch wenn anderswo reihenweise die Teenies bei seinem
Anblick und seinen Songs in Ohnmacht fielen, als der DJ wieder durch das Mikro
brüllte:
„Und hier kommt es, sein neues Stück! Extra nur für Euch geschrieben!“
Für Euch geschrieben? Der hat `se heute nicht all, der DJ dachte Jan. Seit wann
singt SASH Stücke, die die Community betreffen?
„Verzeih ich liebe Dich, Boy im Trägerhemd“, brüllte der DJ weiter durchs
Mikro und ließ endlich die CD abspielen.
Was Jan da vernahm glich einem Alptraum. Erst glaubte er, er hätte sich verhört.
Doch dann, einige Sekunden dem neuen Song zuhörend, wurde es zur Gewissheit.
Hier wurde nicht nur seine Musik von einem anderen nach gespielt. Nein, auch
sein Text, seine komplette Komposition vorgetragen. Als diese Erkenntnis zur
Gewissheit in ihm heranreifte, schraubte diese ihm regelrecht die Füße unterm
Körper weg. Nichts in seinem Körper wollte ihm mehr gehorchen. Ein Glas Cola
rutschte ihm aus der Hand, das andere, das er in der rechten Hand hielt,
umklammerte er so kräftig, dass es in der Hand zerberstend zu Boden rauschte.
Wie ein Geistesgestörter jagte Jan laut brüllend los, raus aus der Disco. Blicke
der Umstehenden zurücklassend, die gar nicht verstanden, was das Gebrülle sollte
und noch weniger Verständnis dafür zeigten, wie sie von Jan wild zur Seite
geschubst wurden, als er sich seinen Weg nach draußen bahnte.
Jan wollte nur raus, sich Luft machen, die zur Gewissheit gewordene Erkenntnis,
dass er auf niederträchtige Art und Weise betrogen worden war, musste erst mal
verarbeitet werden.
Wäre Patrick, der inzwischen wieder rein gehen wollte, nicht auf die Toilette
gegangen, hätte er Jan brüllend an sich vorbei rennen sehen, dicht gefolgt von
Oliver, der all das, was sich eben bei Jan abspielte, beobachtet hatte. Auch
Thomas war gefolgt, blieb aber an der Kasse stehen, um nach Patrick Ausschau zu
halten.
Patrick kam aus der Toilette und sah Thomas an der Kasse stehen, der ihn mit
ernster Miene zu sich heran winkte. Patrick beschlich ein ungutes Gefühl, denn
Thomas besorgter Blick verriet gar nichts gutes:
„Komm Patrick! Wir müssen Jan und Oliver nach.“ rief Thomas, einem irritiert
dreinschauenden Patrick zu und drängte ihn wieder aus der Disco raus.
„Was ist denn los?“ erkundigte sich Patrick, der nur Bahnhof verstand. „Lass sie
doch machen, wenn die meinen sie müssten!“ meinte Patrick weiter, der in eine
völlig falsche Richtung dachte.
„Quatsch! Jan hat etwas! Weiß nur nicht was!“ stieß Thomas erbost hervor, der
gar nicht verstehen konnte, wie Patrick in genau diese Richtung denken konnte,
die er in seiner Erwiderung unmissverständlich angedeutet hatte.
Draußen vor der Tür angekommen, stoppte Patrick und hielt Thomas energisch am
Arm fest, ihn dabei auffordernd, doch erst einmal stehen zu bleiben, und
erkundigte sich:
„Sag endlich was los ist Thomas! Was ist denn mit Jan?“
„Patrick, wenn ich das mal selber wüsste .“
„Wie, das weißt Du nicht? Du weißt aber, dass Jan und Oliver weg sind. Das ist
doch schon mal was.“ gab Patrick mit sarkastischer Stimme von sich, der immer
noch dachte, dass Oliver und Jan sich ein stilles Plätzchen gesucht hätten um,
na ja um halt.
„Du kapierst gar nichts!“ brüllte Thomas Patrick erbost an, dem das tierisch
nervte, dass Patrick immer noch nicht verstand, dass etwas nur mit Jan war.
Wurde aber wieder ruhiger und erklärte:
„Jan ist wie von einer Tarantel gestochen los gerannt. Der hat dabei gebrüllt,
als ob ihn jemand abgestochen hätte. Keine Ahnung was der hat. Oliver ist direkt
hinter ihm her und ich habe Dich gesucht. Reicht Dir das als Erklärung? Können
wir uns jetzt wieder um Deinen Freund kümmern?“
Patrick tat es leid, dass er wirklich so dämlich sein konnte, nur an das Eine zu
denken und begann sich jetzt wirklich Sorgen um Jan zu machen und zerrte nun
seinerseits Thomas hinter sich her, auf die Straße, um nach Jan und Oliver
Ausschau zu halten. Doch bis auf einige Disco - Besucher die draußen standen, um
wie eben Patrick etwas frische Luft zu schnappen und der ersten Heimgeher, war
so nichts zu sehen, zumindest kein Oliver und kein Jan.
„Scheiße!“ rief Patrick. „In welcher Richtung sollen wir denn suchen? Der kann
ja überall hin gerannt sein!“
„Keine Ahnung! Wo habt ihr denn Jans Auto stehen?“ erkundigte sich Thomas, der
irgend etwas logisch klingendes von sich geben wollte.
„Gut!“ meinte Patrick. „Lass uns zuerst da nachsehen!“ und rannte los.
Nur wenige Häuserblocks weiter, erkannten Thomas und Patrick zwei Gestalten, die
unter dem Vordach eines Ladeneinganges hockten. Eine davon lag weinend, in sich
zusammengerollt am Boden, die andere über diese gebeugt, dabei das weinende
Bündel Mensch, durch Streicheln zu besänftigen versuchte. Patrick erkannte
Oliver und Jan und rannte zu diesen hin. Kaum angekommen, kniete er sich neben
Jan, dessen verkrampftes Weinen ihm allerdings die Kehle zuschnürte. Besorgt
ließ er sich neben Jan auf dem Boden nieder, zog Jans Kopf langsam auf seinen
Schoß, lehnte sich an die Schaufensterscheibe und versuchte ihn durch zärtliches
über den Kopf Streicheln zu
besänftigen. Während dessen erkundigte er sich bei Oliver:
„Was ist denn passiert? Oliver! Was habt ihr denn nur gemacht?“ und zu Jan:
„Mensch! Was ist los mit Dir?“
Oliver, der am Boden hockend sich und den anderen eine Zigarette anzündete, bis
auf Jan, der kaum in der Lage war eine zu rauchen, begann den Lauf der
Ereignisse aus seiner Sicht zu erzählen:
„Patrick, glaub mir, ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.“ Gab Oliver mit
beiden Schultern zuckend von sich.
„Jan ist plötzlich auf und davon. Hat erst gebrüllt wie ein Stier. Bin hinter
ihm her gerannt und dann ist er hierhin, hat sich auf den Boden geworfen, mit
seinen Fäusten auf den Boden eingeschlagen und begann dann hemmungslos zu
heulen. Vielleicht kriegst Du ja was aus ihm heraus.“
„Jan?“ fragte Patrick mit sanfter Stimme „Was ist los? Was hast Du?“
Doch anstatt zu antworten, schmiegte sich Jan noch enger an Patricks Oberkörper,
indem er seine Hände, die er erst vor seinem Kopf verschränkt hatte, hervorholte
und diese nun um Patricks Hüfte schlang und dabei noch herzergreifender weiter
heulte.
Völlig hilflos starrten sich die drei anderen an.
„Jan!“ startete Patrick einen erneuten Versuch „Wenn Du nichts sagst, können wir
Dir auch nicht helfen. Und hör bitte auf zu weinen. Du, ich ertrag das nicht.
Ich fange auch gleich noch an zu heulen.“ Was sehr glaubhaft klang, denn Patrick
kämpfte beim dem Anblick selber schon mit aufkommenden Tränen.
Plötzlich meinte Oliver mehr mit sich selbst redend:
„Das passt irgendwie nicht zusammen! Jan hat einen neuen Freund. Das was er
eigentlich suchte, hat er in Dir, Patrick, gefunden. Hatte echt den Eindruck,
dass er wirklich glücklich darüber war, in Dir, den gefunden zu haben, den er
wirklich liebt.“ sprach Oliver nun an Patrick gewandt weiter. „Du, der wollte an
sich zu Dir raus gehen und Dir die Cola bringen und sich selbst auch etwas
abkühlen. Komisch, in dem Moment, wo der DJ ein neues Stück von SASH ansagte,
ist Jan los geflitzt.“
„Das ergibt keinen Sinn!“ meinte Patrick und wurde, bevor er noch was weiteres
anfügen konnte, von Jan unterbrochen, der mit in Tränen erstickter Stimme, von
sich gab und dabei seinen Kopf heftig gegen Patricks Bauch stieß:
„Doch! Das macht Sinn!“
„Das Stück?“ gab Oliver zweifelnd von sich.
„Was für ein Stück?“ fragte Patrick mit irritierter Stimme.
„Patrick! Ich bin Jan hinterher. Keine Ahnung, ob das gut war oder nicht?“
„Wie hieß denn das Stück.“ bohrte Patrick weiter.
Oliver verstand gar nichts und schon gar nicht, was ein Song von SASH mit Jans
Verhalten zu tun haben sollte.
„Ich glaube <Verzeihe ich liebe Dich>, oder >Boy im T – Shirt, ich Liebe Dich<, echt keinen Dunst wie das hieß.“
„Verzeih ich liebe Dich, Boy im Trägerhemd!“ stieß Jan laut, immer noch
in Patricks Schoß liegend, hervor.
Im ersten Moment dachte Patrick, sein Herz würde aussetzen, so grausam war das,
was er da eben gehört hatte, wobei seine bisher weichen und eher besorgten
Gesichtszüge einen Ausdruck annahmen, die an Härte kaum mehr zu übertreffen
waren.
Oliver und Thomas Verstanden nun noch weniger. Thomas, der Patricks
Gesichtsausdruck richtig interpretierte meinte.
“Patrick, hat Jans Verhalten etwas mit dem Lied zu tun?“
„Ja!“ Stieß Patrick hervor. „Das ist Jans Lied!“
„Wie kann das Jans Lied sein, wenn es erst jetzt auf dem Markt ist? Und warum
rennt er dann so bescheuert davon? Erinnert ihn das an eine verflossene Liebe?“
erkundigte sich Oliver.
„Kann ja nicht, Du Depp!“ entgegnete Thomas. „Ist doch gerade erst auf dem Markt
und mir ist nicht bekannt, dass Patrick gerade Schluss gemacht hat.“
„Stimmt!“ gab Oliver von sich.
Jan, der endlich aufgehört hatte zu weinen, erhob seinen Oberkörper, rutschte
neben Patrick und gab endlich die klärende Auskunft.
„Weil ich es geschrieben habe!“ und plötzlich laut rufend „Das ist mein Song!
Versteht Ihr Arschlöcher? Das ist mein Song!“ dabei immer lauter werdend
„Mein Text! Meine Musik! Das habe ich geschrieben! Ich! Den bringe ich
um! Den mache ich kalt! Das Arschloch! Dieses widerliche Stück Scheiße!“
Und für alle unerwartete, sprang Jan plötzlich auf und rannte erneut davon. Erst
jetzt sah Patrick, dass Jans rechte Hand blutete.
Oliver und Thomas waren kaum in der Lage ihren Empfindungen, über die erlebte
und verständliche bittere Enttäuschung Jans in Worte zu kleiden:
„Das haben wir nicht gewusst!“
„Verehrtes Gericht, können Sie sich vorstellen, was in einem Menschen
vorgeht,“ unterbreche ich kurz die Schilderung der Ereignisse. „der sein Demo -
Band in sicheren Händen glaubt? Der darauf vertraut, dass wirklich jemand prüft,
ob das was er kreativ produziert hat, für eine Vermarktung geeignet ist? Dann
aber in einer Disco, in der er sich amüsiert, plötzlich das eigene Werk, von
einem anderen vorgetragen, hört? Wie bitter muss diese Enttäuschung sein? Lassen
Sie uns den Fortgang der Ereignisse folgen, die alles andere als schön sind.“
Und wieder nehme ich den Erzählfaden dort auf, wo ich ihn eben unterbrochen
hatte, in der Hoffnung, dass es mir gelingt, über den weiteren Hergang der
Dinge, ein anderes, verständlicheres Licht zu werfen.
„Jetzt wisst ihr es. Ich dachte ihr kennt Jan schon länger als ich? Hat er Euch
nie erzählt, dass er eigene Stücke schreibt und auch spielt?“ gab Patrick von
sich.
„Nein Patrick, davon hat Jan nie etwas erzählt.“ antwortete Thomas.
„Sagt mal Leute, statt hier so dämlich zu stehen, meint ihr nicht, wir sollten
machen, dass wir Jan wieder einholen?“ bekundete Oliver und marschierte los.
„Allerdings!“ antwortete Patrick. „Ich glaube zwar nicht, dass er das macht, was
er gerade angedeutet hat. Aber wer weiß, was er mit sich noch anstellt?“
„Wie kommt Jans Lied zu SASH?“ erkundigte sich Thomas
„Jan hat vor drei Monaten ein Demo - Band einem Produzenten gegeben. Der wollte
sich das noch mal anhören und prüfen ob er das mit Jan, als Sänger, in einem
Tonstudio und gemeinsam mit einer Profiband, neu aufnehmen kann.“ Erläuterte
Patrick, während die drei nun suchend die Straße herauf gingen.
„Das hat er ja auch gemacht. Nur ohne Jan.“ stieß Oliver, mit verbitterter
Stimme, hervor.
Jan war nirgends zu sehen. Schon glaubte man, er wäre wieder in die Disco
gegangen, doch vorstellen konnte sich das keiner. Dann kam man auf den Gedanken,
dass er vielleicht nach Hause gefahren sei.
Schon wollten sie zu Jans Auto gehen, als genau dieses, mit weit überdrehendem
Motor, die Straße herunter, auf sie zugeschossen kam. Patrick, der Jan so nicht
wegfahren lassen wollte, ging mitten auf die Straße um den entgegenkommenden Jan
zu bremsen, doch der ließ sich davon nicht beeindrucken. Ohne auch nur
ansatzweise vom Gas zu gehen, raste er weiter, womit Patrick nichts anderes
übrig blieb, als in letzter Sekunde, sich schützend, zwischen die geparkten
Autos, zu springen und Jan an sich vorbei rauschen zu lassen.
„Jan!“ brüllte Patrick, dem davon rasenden Wagen hinterher, wohl im Glauben,
dass Jan sein Rufen hören würde.
„Scheiße! Mann, wo will der denn hin?“ rief Patrick wütend und verzweifelt
zugleich.
„Patrick, ich weiß ja nicht so ganz, ob Du damit Recht hattest, dass Jan das
nicht macht, was er eben angedeutet hat.“ Meinte Thomas, der nun neben Patrick
angekommen war.
„Mann! Mach mir nicht noch mehr Angst.“ doch das von Thomas gesagte, umsetzend:
„Oh Mist! Ich glaube Du hast Recht. Ich muss hinterher, egal wie.“
„Und wie bitte schön, willst Du das anstellen?“ erkundigte sich Oliver. „Du
weißt ja noch nicht einmal wo der hin ist!“
„Doch, das weiß ich. Zu diesem drecks Produzenten.“
Mit prüfendem Blick musterte Patrick die in seiner Nähe abgestellten Autos. Ein
alter dunkelblauer Passat erregte seine ganze Aufmerksamkeit und bevor die
beiden anderen registrierten was Patrick vor hatte, ging dieser auf den Passat
zu, schlug kurzer Hand die Seitenscheibe ein, öffnete die Tür und schloss den
Wagen kurz. Für irgendetwas musste ja die Arbeit in der Werkstatt von Wolfgangs
Vater nützlich gewesen sein.
„Sag mal bist Du jetzt auch völlig übergeschnappt?“ rief Oliver. „Was soll das
geben, wenn das fertig ist?“
„Lass das mal meine Sorge sein. Was ist! Wollt ihr mit? Habe keine Zeit hier zu
warten. Wer weiß was Jan mit dem Typen macht. Muss da hin!“
„Ne, Du. Das ist mir eine Spur zu heiß!“ Erwiderte Oliver und Thomas ergänzte:
“Weißt Du denn überhaupt wo der Typ wohnt?“
„Ja, Jan hat mir das neulich erzählt. Also was ist? Kommt Ihr mit?“
erkundigte sich Patrick.
„Nein.“ Bekundeten beide.
Patrick, der dieses,
>Nein<,
schon gar nicht mehr abgewartet hatte, knallte die Fahrertür zu und fuhr los.