Leseprobe (3) aus:
Jan, und endlich ist Frühling (Seiten: 131 –
143)
Im „lef“ wurde Jan direkt von dem Mann angesprochen, der vorhin versucht
hatte Patrick zu einer vermeintlichen Nummer zu überreden.
„Na Jan! Auch mal wieder hier?“
„Wie Du siehst? Ja!“
„Darf ich Dir eine Cola oder ein Bier ausgeben?“
„Wenn Du möchtest, dann bitte ein Bier. Mach Dir aber keine falschen Hoffnungen,
ich mach heute Abend nichts mehr.“
„Klar, hab verstanden. Setzt Du Dich mit an die Theke?“
„Warum nicht.“
Der Mann, den die Stricher mit dem Namen Holger ansprachen, bestellte zwei Bier
und beide ließen sich auf die einzigen noch freien Barhocker nieder.
„Irgendwie ist heute hier nicht viel los,“ versuchte Holger das Gespräch weiter
fortzuführen.
„Kommt darauf an, was Du so suchst. Der Laden ist doch heute proppenvoll.“
antwortete Jan, womit er nicht gerade unrecht hatte, wenn man berücksichtigte,
dass es keinen freien Sitzplatz, in den rotplüschernen Sitzecken und der Theke,
mehr gab.
„Ach Jan,“ stöhnte jener Holger schwerleidig, „hab heute einen echt süßen Boy
gesehen. Weißt Du, der hatte schöne, schulterlange, dunkelblonde Haare, eine
schlanke, aber dennoch sehr kräftige Figur und eine wunderbare warme, dunkle
Stimme.“
Jan war sofort klar, von wem hier die Rede war, womit sich auch bestätigte, dass
er sich vorhin nicht getäuscht hatte. Jan wurde nun zusehends neugieriger,
wollte sich davon aber nichts anmerken lassen, weshalb er, mit möglichst
gelangweilter Stimme, sich erkundigte:
„Wo hast Du den denn gesehen? Wohl im Kino? Was?“
„Könnte man fast meinen.“ Stieß Holger resigniert hervor. „Nein, der saß da
draußen auf der Bank, trank eine Dose Bier und schaute, so wir mir schien, sehr
interessiert hierüber. Deshalb hatte ich ihn ja auch angesprochen. Aber, ach
´ne! Weißt Du, der sagte nur, dass er nicht das sei wofür ich ihn wohl halten
würde. Mann, war mir das peinlich! Wäre beim weggehen noch fast über das
Vorderrad seines Bikes gestolpert.“
„Na, wie es scheint, hast Du das Stolpern aber gut überstanden.“
„Mensch, nimm mich jetzt hier nicht auf den Arm! Habe seitdem ich ihn gesehen
habe schon gar keine Lust mehr auf einen der anderen Jungen hier.“
„Jetzt mach mal halblang. Igor, mit dem Du doch sonst immer weggehst, ist doch
auch eine stattliche Erscheinung. Oder etwa nicht?“
„Klar, eine Figur wie ein Ringer und wenigstens nicht wie die meisten anderen
bereits von Drogen zerstört.“
„Ich weiß, Igor macht das hier, weil er die Kohle für das Auto braucht.“
„Weißt Du was der sonst eigentlich macht?“ erkundigte sich der Freier.
„Hat er Dir das nicht erzählt?“
„Ich hab nie so richtig danach gefragt.“
„Der macht eine Lehre als Dachdecker, müsste dieses Jahr auch seine
Abschlussprüfung haben.“
„Was? So alt ist der schon? Habe den gerade mal auf knappe achtzehn geschätzt.“
„Stimmt ja auch fast, aber auch nur fast. Igor ist neunzehn.“
„Na, trinkst Du noch ein Bier?“
„Ne, lass mal, nett von Dir, werde jetzt den Laden hier verlassen und noch ein
wenig abdancen gehen.“
„Lass Dich mal wieder sehen, und wenn mein Traumprinz da draußen noch sitzt,
vielleicht kannst Du ihn ja mal hier vorbei schicken.“
Jan lachte über dieses, doch recht ulkige, Anliegen und erwiderte, sich schon
vom Barhocker erhebend:
„Klar mache ich! Wer weiß? Vielleicht habe ich ja bessere Chancen. Ciao Holger, mach ´s gut, nur nicht zu oft.“
Jan verließ, ohne die Erwiderung von Holger noch zu hören, das „lef“. Mit
einem kurzem Rundumblick über den Raschplatz musste er jedoch, zu seiner
Enttäuschung feststellen, dass Patrick wohl gefahren war. Völlig in Gedanken
registrierte er gar nicht, dass zwei andere Stricher, die auf das „lef“
zugingen ihn grüßten. Gedankenverloren wollte er schon die Bank ansteuern auf
der Patrick, gemäß der Erzählung von Holger, gesessen hatte, entschloss sich
dann aber spontan dies nicht zu machen, sondern ging auf den Spielplatz, wo er
sich auf eine Ecke des, den Spielplatz umzäunenden, Geländers setzte, von wo er
die Bank gut im Blick hatte. Eine in der Nähe gelegene Kirchuhr kündigte, mit
ihrem unüberhörbaren Glockenschlag an, dass nun der Samstag begonnen hat.
Auch Patrick hörte die Glockenschläge, als er aus der Passarellenunterführung wieder mit dem Bike hervorkam und zielstrebig seine Bank ansteuerte. Patrick hatte sich vorgenommen noch ein wenig dort sitzen zu bleiben und zu gucken, ob er Jan noch einmal sieht. Noch immer war er sich nicht sicher, ob er Jan überhaupt ansprechen sollte. Schließlich war er es jetzt, der Jan beobachtete und wie sollte er ihm erklären, dass er ihm regelrecht nachspionierte. Hierüber wollte er sich nun auf der Bank sitzend klar werden, weshalb er sein Bike wieder an den, neben der Bank gelegenen, Baum lehnte und sich so auf die Bank hockte, dass er seinen Kopf, auf den Beinen abgestützten Ellbogen, in den Handinnenflächen aufliegen ließ. Ihm war klar, dass er so kaum mehr beobachten konnte, aber das wollte er ja im Moment auch nicht.
Jan konnte es kaum glauben, als er sah, wie Patrick sein Fahrrad wieder
abstellte und sich auf der Bank niederließ. Wo er doch schon davon ausgegangen
war, dass dieser nach Hause gefahren war. Was nun? Ihn ansprechen? Oder besser
auf einen anderen Ort und eine andere Zeit hoffen. Hatte Patrick mitbekommen was
er macht, womit er sich sein Taschengeld aufbessert? Klar, der machte nicht
gerade den Eindruck, dass er blöd ist. Er hatte es ja auch glasklar klar
bemerkt, dass Jan ihn vor zwei Tagen am Ricklinger Teich eine geraume Zeit
beobachtet hatte und dies auch zum Ausdruck gebracht. Mensch, dachte Jan, was
soll das eigentlich, bist nun seit fast zwei Jahren im Gewerbe und keineswegs
auf den Mund gefallen und mit den unterschiedlichsten Situationen gut fertig
geworden, warum also hier kneifen? Mehr wie ein Nein, kann da auch nicht kommen.
Den richtigen Sitz seines Hemdes noch mal kontrollieren, besser doch einen Knopf
wieder zumachen, um nicht zu aufdringlich zu wirken, ging Jan möglichst
gelangweilt wirkend auf die Bank zu. Patrick merkte von seiner Annäherung
nichts. Jan registrierte, dass Patrick mit seinen Gedanken weit, weit weg war,
weshalb er sich ihm unmittelbar gegenüber, in nur zwei Meter Entfernung, auf den
Brunnenrand setzte und ihn unverhohlenst anschaute.
Patrick umschlich plötzlich das Gefühl, dass er beobachtet wird, womit er seinen
Kopf leicht anhob und dabei direkt in Jans Augen blickte. Sein Atem stockte und
er hatte den Eindruck, dass er genau in diesem Moment einen hochroten Kopf
bekam, was die auf der Stirn aufkommenden leichten Schweißperlen auch noch zu
bestätigen schienen. Sein Mund ging auf und zu, wie bei einem Fisch, der nach
Luft schnappt. Nun war genau das eingetreten, was Patrick befürchtet hatte, nur
noch viel schlimmer, wo er doch noch gar keinen Plan entwickelt hatte, auf dem
aufbauend er diese Situation nun hätte meistern können.
Jan, der Patricks Verwirrtheit mitbekam, erhob sich und ging langsam auf ihn zu,
setzte sich neben Patrick auf die Bank und eröffnete unvermittelt das Gespräch.
„Du tust nun gerade so, als ob Dir ein Geist erschienen sei. Keine Angst, ich
beiße nicht, ich fass Dich auch nicht an. Doch erlaube mir Bitte die Frage: Was
machst Du hier? Und komm mir nicht damit, Du sitzt rein zufällig hier! Das nehme
ich Dir nämlich nicht ab!“
„Äh, Hmm, jaaa! Ich bin hier halt mit dem Rad unterwegs, wie Du siehst, wollte
auch gerade wieder weiter fahren.“ Gab Patrick, stotternd mit belegt klingender
Stimme von sich.
Mensch Patrick, sag mal was ist mit Dir denn los, so ein Blödsinn zu labern,
schoss es ihm durch den Kopf.
„Aha! Klar! Hab ich bemerkt! Bist ja auch gerade aufgestanden und auf dem Weg zu
Deinem Rad.“ Erwiderte Jan mit zynischer Stimme und fuhr fort: “Weißt Du, das
würde ich Dir ja auch glatt noch abnehmen. Doch wer stand gestern am FKK –
Strand und beobachtete, von der gegenüberliegenden Seite, was die Leute so
treiben. Weißt Du, wenn Du schon Leute beobachtest, dann stell Dein Bike
wenigstens so, dass man es nicht vom ganzen See aus sehen kann. Hab Dich
erkannt, als ich durch den See gekrault bin.“
„Und wenn dem so ist?“ konterte Patrick, „Ist es denn verboten zu gucken, was
Nudisten so treiben? Ist doch ein öffentliches Gelände.“
Mann Patrick Du laberst ja immer mehr Schwachsinn und dann noch das! Da hat der
mich doch glatt gesehen. Was erzähl ich denn jetzt nur ?
„Klar und rein zufällig treibst Du Dich, seit gut drei Stunden, hier auf dem
Platz herum. Klar, habe verstanden. Um ehrlich zu sein, ich habe gar nichts
verstanden! Erst wirfst Du mir vor, dass ich Dich mit meinen Blicken abmusternd
anstarren würde, als ich daraufhin gehe, weil ich Dir nicht zu nahe treten
wollte, rufst Du mir hinterher und dann, dann scheint es mir fast so, als ob Du
mich verfolgen würdest. Falls ich Dir jetzt wieder zu nahe komme, dann sag es
und ich verzisch mich! Okay?“
„Jan! Ich wollte Dich neulich nicht verscheuchen. Aber genau das habe ich wohl,
zumindest hatte ich den Eindruck. Ja, es interessiert mich etwas mehr über Dich
zu erfahren. Zum Beispiel, warum Du so lange hinter mir im Gebüsch gestanden und
mich betrachtet hast? Bist Du verkehrt herum oder hattest Du wirklich nur Scheu
mich direkt anzusprechen, um nach dem blöden Feuerzeug zu fragen? Okay, das
Rätsel wurde gestern zufällig gelöst, als ich hier mit dem Rad unterwegs war und
Dich mit `nem älteren Typ davonfahren sah. Irgendwie hatte ich das schon am See
gespürt, zumindest hatte ich Deine Blicke so interpretiert.“
„Gut, und nun meinst Du zu wissen, dass ich wohl `ne Schwule Tucke bin, die für
ein paar lumpige Mark ihren Body verkauft.“ Unterbrach Jan ihn. „Befriedigt Dich
das nun? Da somit ja wohl Deine Frage zu meiner Person abschließend geklärt ist,
kann ich mich ja wieder meinen Aufgaben widmen.“
Jan stand auf und wollte schon die Bank verlassen.
„Jan,“ rief Patrick, „Bitte bleib! Ich will und wollte Dich nicht beleidigen.“
Auch Patrick war aufgestanden und stand nun direkt vor Jan.
„Was willst Du dann? Ne Nummer? Oder was?“
„Sag mal spinnst Du? Jan! Ich bin nicht schwul! Also kannst Du Dir die Frage
nach der Nummer ersparen! Ich wollte Dich einfach nur kennen lernen, mehr
nicht.“
„Warum? Warum willst Du einen wie mich kennen lernen? Wenn Du nicht schwul bist,
ergibt das doch keinen Sinn.“
„Muss man schwul sein, um Dich kennen lernen zu
dürfen?“ konterte Patrick.
„Komm, lass uns hier verschwinden, hier laufen
mir zu viele Freier herum,“ erwiderte Jan und zur Bestätigung seines Ansinnens,
nahm er Patricks Rad und schob es vor sich her.
„Wo wollen wir denn hin?“ erkundigte sich Patrick.
„Schlage vor wir fahren runter zum Maschsee und holen uns auf dem Weg noch was
zu trinken.“
„Fahren? Na gut, dann setzt Dich mal auf die Mittelstange und es kann losgehen“, erwiderte Patrick, der ganz froh darüber war, dass die Anfangs gereizte Stimmung sich entspannte.
Unterwegs hielten sie bei einem Kiosk, der rund um die Uhr auf zu haben schien
und holten sich vier Dosen Bier. Am Maschsee angekommen, führte Jan beide zu
einem Ruderanleger in der Nähe des Pier 52, einer etwas nobleren Kneipe,
direkt am Maschsee - Ufer. Zu so fortgeschrittener Stunden waren hier nicht mehr
allzu viele Spaziergänger unterwegs, so dass man tatsächlich auf den Holzbohlen
des Anlegers ungestört sich hinsetzen und unterhalten konnte.
Eine leichte Brise zog über den See und im Gegensatz zu den vorhergegangenen
Nächten versprach diese die erste wärmere Nacht zu werden, denn es war immer
noch so warm, dass man mit T – Shirt ausreichend bekleidet war.
Patrick und Jan setzten sich auf die Bohlen und schauten schweigend über den
Maschsee. Doch nur kurze Zeit später eröffnete Jan das weitere Gespräch.
„Wie bist Du eigentlich darauf gekommen, dass Du mich am Raschplatz treffen
könntest?“
„Da bin ich gar nicht darauf gekommen. Hatte gestern einen leichten Streit mit
meinem Vater und um dem aus dem Weg zu gehen, bin ich wieder mit dem Rad los und
dabei ziellos durch die Innenstadt gekurvt. So gegen neun Uhr bekam ich Durst
und habe mir, unten an dem Kiosk, ein Bier geholt und auf dem Brunnenrand es mir
bequem gemacht. Das Treiben dort faszinierte mich, weshalb ich bis elf Uhr
geblieben bin. Tja, und da sah ich Dich.“
„Warum hast Du mich da nicht angesprochen?“
„Du bist vielleicht gut. Du bist gekommen und direkt mit einem Freier wieder
weggefahren. Außerdem, was sollte ich sagen? Hallo da bin ich? Hast ja eben
schon gemerkt, dass es gar nicht so einfach war. Und erst heute ist mir so
richtig bewusst geworden, wozu Nachts der Raschplatz wirklich dient.“
„Kannst es ruhig aussprechen, es ist der HOMO – Strich von Hannover. Hast Du das
wirklich nicht gewusst? Dann kannst Du auch nicht von hier sein, denn die
meisten Hannoveraner kennen diesen Platz und seine nächtliche Funktion.“
„Ne, komme tatsächlich nicht von hier, wir sind in diesem Winter erst hierher
gezogen.“
„Aus welcher Gegend Deutschlands kommst Du denn?“
„Aus Rheinbach?“
„Oh, hätte in Erdkunde etwas besser aufpassen sollen, dann wüsste ich wenigsten
wo das ist. Muss wohl irgendwo am Rhein sein.“
„Ne Du, das hat mit dem Rhein nun gar nichts zu tun, der ist gute zwanzig
Kilometer von uns weg.“
„Na siehste, so schlecht war ich ja gar nicht. Und wo wohnt ihr jetzt, ich meine
hier in Hannover?“
„In Stöcken.“
„Und Du?“
„In Kleefeld“
„Auch eine gute Ecke von hier.“
„Quark, man merkt, Du bist wirklich nicht von hier, brauche nur kurz durch die
Südstadt und Bult, dann unter der B 3 her und schon bin ich da. Da ist Deine
Strecke um einiges länger, gute acht Kilometer müssten es von hier bis Stöcken
sein. Bis nach Kleefeld ist es noch nicht einmal die Hälfte.“
„Sag mal, machst Du das professionell?“
„Was? Patrick, was mache ich professionell?“
„Das Anschaffengehen.“
„Wie man es nimmt. Zur Zeit bessert das ganz gut mein Taschengeld auf.“
„Gehst Du da mit jedem, der Dir Geld bietet, damit Du es ihm besorgst?“
„Sehe ich etwa so aus? Bin keiner von den Straßenstrichern, die ihren Stoff
damit finanzieren müssen.“
„Und wie bist Du dazu gekommen, ich meine Dich zu verkaufen?“
„Jetzt mach mal halblang Patrick! Ich verkaufe mich nicht. Weder mich noch meine
Seele.“
„Klar, aber zum Spaß machst Du das doch garantiert nicht! Oder?“
„Mann! Wird das jetzt ein Verhör, oder was soll das werden? Was interessiert
Dich denn so daran?“
„Bin halt neugierig.“
„Gut, wenn ich Dir jetzt erzähle, wie ich dazu gekommen bin, dann erzählst Du
mir aber auch etwas über Dich.“
„Okay!“
Jan nahm sich nun eine der mitgebrachten Dosen Bier, gab eine davon Patrick und
begann ein wenig über sich zu erzählen.
„Das Ganze begann vor zwei Jahren, da merkte ich, dass mich Mädchen zwar noch
interessierten, aber so richtig antürnen, dass mir dabei einer abging, neh Du,
das tat keine von Ihnen. Hatte eh schon seit längerem den Verdacht, dass mich
Jungen mehr interessieren. Na ja, da bin ich halt in die Szene gegangen und dort
stellte ich sehr schnell fest, dass junge und vor allem gut aussehende Jungs
schwer gefragt waren. Was lag also näher, als das Angenehme mit dem Nützlichen
zu verbinden? Bevor Du jetzt fragst, ob ich das von zu Hause nötig hab? Nein!
Mein Vater verdient gut, sehr gut sogar. Mit der Zeit habe ich einen kleinen
Stammkundenkreis mir zugelegt, alles Besserverdienende und wirklich hoch
anständige Kerle. Wie Du siehst, ich mache es nicht mit jedem.“
Patrick schwieg ein wenig bedrückt über diese Offenheit, zudem musste er das
Gehörte auch erst verdauen. Er konnte sich gar nicht vorstellen, dass jemand
ohne wirkliche Not seinen Körper feilbot.
„Dein Schweigen sagt mir jetzt, dass Du entweder geschockt oder geschockt bist.“
„Geschockt!“ gab Patrick von sich.
„Hast Du eine Zigarette, meine müssen wohl eben beim Fahren aus der Tasche
gefallen sein?“
„Klar.“
Jan holte aus seiner Hemdbrusttasche eine Packung hervor, zündete beiden eine an
und reichte eine glühende Zigarette an Patrick weiter. Als dieser zögerte,
meinte Jan.
„Keine Angst, habe keine Krankheiten und AIDS kann so nicht übertragen werden.“
Patrick nahm die Zigarette und inhalierte erst einmal ein paar Züge tief ein.
„Als Du am See hinter mir gestanden hast und mich in der Sonne liegend
beobachtet hast, was wolltest Du wirklich? Wetten, dass Dein Feuerzeug
garantiert noch funktioniert hat?“
„Okay, okay, durchschaut! Klar funktionierte mein Feuerzeug noch. Ich hatte Dich
schon im Visier als Du am FKK – Strand vorbeigefahren bist. Als Du dann nach
links abgebogen bist, in Richtung des Wäldchens, dachte ich zuerst du wärst auch
ein Boy, der auf der Suche ist. Hab mich halt angezogen und bin durch das
Wäldchen gekurvt, habe dich aber nirgends gesehen. Auf dem Rückweg dachte ich
mir, mal die ganzen verschlafenen Plätze am Ufer abzufahren und wie Du gesehen
hast, bin ich auch fündig geworden.“
„Wie kamst Du darauf, dass ich einer bin, der einen anderen Jungen sucht?“
„Mann, Du bist hier wirklich fremd. Hast Du dort zum erstenmal gelegen?“
„Ja, habe mir bereits im Winter diesen Platz auserkoren, nach dem Motto, wenn es
endlich warm wird, ist das eine Ecke, wo man ungestört liegen und in der Sonne
braten kann.“
„Dann fahre da mal häufiger hin, gerade jetzt am Wochenende, wenn das Wetter so
schön ist wie heute, dann wirst Du erleben, wie ruhig dieser Ort wirklich ist.“
„Wie meinst Du das?“
„Patrick, da wo Du gelegen hast befindet sich der Cruisingbereich der Schwulen.
Wer dort liegt will garantiert nur das Eine, oder ist, wie Du, fremd in der
Gegend.“
„Ach Du dickes Ei!“ entfuhr es Patrick vor Schreck, als ihm bewusst wurde in
welche Situation er sich da begeben hatte.
„Ja, die werden einige bei Deinem Anblick garantiert gehabt haben. So gut
aussehende Jungs sind selten in dem Revier.“
„Klar, jetzt verstehe ich auch, warum Du mich so offen gemustert hast. Jetzt
wird mir das klar. Klasse! Da liege ich nichts ahnend, mit nackten Oberkörper
zur Aufgeilung aller notgeilen Säcke. Ich fass es nicht! Mann, da hätte mich nur
einer anfassen müssen, der hätte es garantiert bis alle Ewigkeit hinter sich
gehabt, den hätte ich kastriert!“ gab Patrick sichtlich erregt von sich.
„Na, dann hättest Du mich ja kastrieren müssen.“
„Du hast mich nicht angefasst und auch nicht dumm angemacht.“
„Da bin ich ja froh, dass ich da noch heil davon gekommen bin“, gab Jan leicht
frötzelnd von sich.
„Glaubst mir das nicht, dass ich das getan hätte?“
„Klar, glaub ich Dir das, bei den Muckies!“ versuchte Jan sichtlich überzeugend
zu antworten und skizzierte mit seiner rechten Hand, in den freien,
mitternächtlichen Himmel, einen riesigen Bizeps.
„Mann! Verarschen kann ich mich selber!“ gab Patrick leicht gereizt von sich und
war sich dabei gar nicht sicher, ob Jan tatsächlich ausprobieren wollte, wer der
Stärkere ist, oder ihn einfach nur verarschen wollte.
„Okay, okay, calm down!
Glaub Dir das! Musst Du mir jetzt auch nicht beweisen.“
„Werde ich auch nicht. Vergreife mich nämlich nicht an Schwächeren.“ konterte
Patrick zurück.
„Wollen wir uns jetzt wieder streiten oder uns weiter kennen lernen?“ versuchte
Jan die aufkommende Spannung wieder zu entkrampfen. „Erzähl mal was über Dich,
schließlich hab ich Dir ja einiges über mich erzählt.“
„Was willst Du denn hören? Ich gehe nicht Anschaffen, sondern noch zur Schule.
Ansonsten treibe ich in meiner Freizeit gerne Sport, ein wenig Krafttraining,
worauf Du ja schon angespielt hast und ansonsten Biken und Skaten. Ach so, und
werde im Herbst siebzehn.“
„Na, das war ja im Telegrammstil. Was hat denn Deine Familie nach Hannover
verschlagen?“
„Mein Vater hat hier bei einer größeren Baufirma einen Job als Architekt
angenommen.“
„Ach so, und Deine Mutter?“
„Meine Eltern sind geschieden.“
„Entschuldigung, wollte darauf nicht unbedingt anspielen.“
„Ist schon gut, komme damit ganz gut zurecht. Und was machst Du, wenn Du nicht
gerade Anschaffen gehst?“
„Patrick, ich gehe nicht jeden Tag anschaffen, wenn Du das meinst. Ansonsten
gehe ich, genauso wie Du, noch zur Schule. Nur im Gegensatz zu Dir, bin ich
bereits achtzehn.“
„Wissen Deine Eltern davon?“
„Bist Du wahnsinnig, wenn die das raus bekämen, die würden mich umbringen, raus
schmeißen. Ist schon schlimm genug, dass die langsam dahinterkommen, dass ich
schwul bin. Nur das ist okay, irgendwann müssen die das eh mal erfahren. Und?
Hast Du schon mal mit einem Jungen etwas gehabt?“
„Nein! Bist Du wahnsinnig? Wie kommst Du denn darauf?“
„Na hätte ja sein können, schließlich durchlaufen wir doch alle eine Phase, wo
wir für so etwas anfällig sind. Hast Du noch nie mit einem anderen Jungen
zusammen im Bett gelegen?“
„Doch, na klar! Mit meinem besten Freund, doch da ist nichts gelaufen. Klar, wir
haben schon mal gefühlt, wer die härteren Bauchmuskeln hat oder den festeren
Bizeps, aber ansonsten so etwas, was Du meinst, Arschficken? Nein! Könnte ich
mir ehrlich gesagt auch gar nicht vorstellen. Gib mal noch eine Dose Bier rüber,
werde die noch killen und mich dann langsam nach Hause begeben.“
Jan langte kurz hinter sich und reichte Patrick die Dose Bier rüber, leerte
seine mit einem Zug und nahm sich selbst die letzte Dose vor.
„Na, dann Prost“, dies sagend, stieß Jan an Patricks Bierdose an und führte
weiter aus: „Du hast eine komische Vorstellung vom Schwul sein. Das hat für Dich
anscheinend nur etwas mit pervers anmutendem Sex zu tun. Schon mal mitbekommen,
dass da auch, wie zwischen Junge und Mädchen, wirkliche Liebe und echte Gefühle
füreinander im Spiel sind?“
„Weiß nicht, kann mir das so nicht vorstellen.“
„Was empfindest Du denn für Deinen besten Freund, von dem Du eben gesprochen
hast?“
„Thorsten? Ich glaub sehr viel. Es würde mich zumindest tief verletzen, wenn
diese Freundschaft in die Brüche ginge. Nur das hat nichts mit Liebe zu tun. Wir
mögen uns. Klar, wir vertrauen uns und ich denke, wir sind, wenn es darauf
ankommt, auch füreinander da.“
„Klingt Klasse. Echt! Das meine ich auch so wie ich es sage. Denke nur einmal
darüber nach, wie hauchdünn die Grenze zwischen dem ist, was Du eben beschrieben
hast und dem, was unter Umständen schwul zu sein heißen könnte.“
Patrick wurde es auf einen Schlag recht heiß unter der Mütze, so verwirrt hatte
ihn Jans Einwand.
„Sehen wir uns noch einmal oder pflegst Du keinen Umgang mit Schwulen?“
erkundigte sich Jan.
„Klar, natürlich können wir uns sehen. Ich hab nichts gegen Schwule, sonst würde
ich garantiert nicht so ruhig hier neben Dir sitzen. Nur, das ist eine Welt, die
mir völlig fremd und sehr fern ist.“
„Gut, freut mich. Was hast Du denn morgen vor?“
„Wollte morgen Abend an sich ins OSHO, nach `ner Braut Ausschau halten
und am Nachmittag? Mal sehen, vermutlich wieder mit dem Bike unterwegs sein. Und
Du?“
„Bike? Klingt gut. Wenn Du möchtest, können wir uns ja hier wieder treffen und
ein paar Runden gemeinsam um den Maschsee drehen.“
„Gut, um wie viel Uhr?“
„Sagen wir mal um drei. Oder?“
„Ist in Ordnung, drei ist eine gute Zeit. Hast Du noch `ne Zigarette für mich?“
„Klar!“
„Dann lass uns die noch rauchen und dann abdampfen, sonst können wir gleich hier
bleiben.“
„Dagegen hätte ich nichts einzuwenden.“ Erwiderte Jan unmissverständlich
zweideutig.
Jetzt wurde es Patrick noch heißer unter seiner Mütze und war froh, dass Jan
keine Anstalten machte, nach dieser Äußerung näher an ihn heran zu rücken.